„Ich glaube, Schlagfertigkeit kann man nicht lernen. Entweder man hat Talent oder nicht.“ Wenn es denn so einfach wäre …
Natürlich gibt es Naturtalente, gar keine Frage. Die gibt es in nahezu allen Bereichen: vom Purzelbaum, übers Malen, Autofahren bis hin zum Klavierspiel. Sie können alles lernen, und dennoch wird aus Ihnen vielleicht keine berühmte Malerin, bekannte Pianistin oder Formel-1-Fahrerin. Talent gibt Ihnen einen natürlichen Vorsprung. Aber auf der Langstrecke, so zumindest meine Erfahrung, schlägt Fleiß Talent.
Sie können mit dem begnadeten Talent zum Klavierspielen ausgestattet sein, aber wenn Sie nicht üben, dann werden Sie von den Fleißigen überholt. Wenn Sie beides kombinieren, wenn Sie mit Talent auch noch fleißig sind, ja dann wartet quasi die ganze Welt auf Sie. Beim Thema Schlagfertigkeit beobachte ich dasselbe. „Das kann man nicht lernen. Das hat man, oder nicht“, höre ich ab und an. Gerne von den Herren der Schöpfung. Ich sehe das anders.
Bei Schlagfertigkeit geht es nicht um Techniken, die wir „lernen“ können, sollen, müssen. Es geht um eine Haltung zum Leben. Und die kann ich einnehmen. Da benötige ich kein Talent, nur einen Willen. „Wem gestehe ich es zu, mir wertvolle Lebenszeit durch Ärger zu klauen?“ ist eine Schlagfertigkeitsdefinition, die kein klassisches Lernziel, sondern eher eine Sichtweise benötigt. Eine, die, so auch meine Erfahrung, über Humor und Storytelling leicht nachvollziehbar ist. Und aus dieser kommen die Antworten. Mal verbal, mal nonverbal.
Nach zehn Jahren Schlagfertigkeitstrainings möchte ich mich weit aus dem Fenster lehnen: Ich habe noch nicht eine Frau erlebt, die nach dem Seminar sprachlos geblieben ist. Ich schwöre! ☺ Auch die, die nach eigenen Angaben ohne Talent waren.
Da möchte ich sogar so weit gehen, dass das die talentiertesten waren und dem Talent nur die Erziehung oder falsche Bescheidenheit im Weg stand. Ist die Kunst erstmal geweckt, passiert ja noch etwas Erstaunliches: Wir trauen uns beim nächsten Mal mehr zu. Sowohl im Purzelbaum schlagen als auch bei der Schlagfertigkeit. Erfolgserlebnisse beflügeln. Sie machen Lust auf mehr. Sprich: Aus Fleiß kann auch Talent werden. Ein eigens erschaffenes. Was für ein Erfolg! Aber: Ich glaube, dass diese selbst erschaffenen Talente etwas anfälliger für Rückschläge sind.
Wenn Sie ein intrinsisches Talent fürs Malen haben, dann werden Sie das nicht aufgeben, nur weil mal ein Pinselstrich nicht so geworden ist, wie Sie sich das wünschen. Wenn ein Buch von mir mal kein Bestseller würde, wäre das für mich kein Grund, mit dem Schreiben aufzuhören. Das wäre so, als ob Sie mir sagen würden: „Hör mit dem Atmen auf!“ Genauso könnten Sie das Schlagfertige aus mir nicht herausbekommen, auch wenn ich vielleicht mal mit einer Antwort latent zu spät war. Es ist Teil meiner Identität.
Wenn Sie aber nur des Absatzes wegen malen oder nur schreiben, um einen Bestseller zu platzieren – sprich, wenn Sie „nur“ fleißig sind, weil Ihr Ziel im Außen liegt, dann werden Sie vermutlich aufhören, wenn dieses Ziel nicht erreicht ist.
Wenn Sie sich die Schlagfertigkeit antrainieren und vielleicht doch im richtigen Moment eine Antwort schuldig bleiben, dann kann Sie dieser Rückschlag weit zurückwerfen.
Und genau an dieser Stelle schließt sich der Kreis: Es kann Sie eben nur genauso weit zurückwerfen, wie Ihre Haltung es zulässt. Und glauben Sie mir: Die Antwort auf die Frage „Wem gestehe ich es zu, mir wertvolle Lebenszeit durch Ärger zu klauen?“ bietet ein gutes Netz für Rückschläge, die da so kommen mögen.